Orangenhaut
(I)
Der Frust ballt sich in meinem Bauch zur Faust, quetscht meine Gedärme und sie weichen ihrem Druck über den Anus aus, schwammige Gewächse quellen aus meiner Rosette hervor und ich bohr meinen Finger in ihre gallertige Masse, stopf sie zurück, in den dunklen Hort, auch wenn ich mich innerlich zersetze, verwese bei lebendigem Leib, wahre ich den Schein, die Wahrheit ist: ein Prozess der Selbstauflösung hat begonnen und wird bald abgeschlossen sein. Lange Nägel durchwachter Nächte haben tiefe Furchen gegraben, dunkle Augenringe sind die Maske des Wochenbetts, auch wenn ich ab und zu schlafe, meine Haut glättet sich nicht, aus Müdigkeit stopfe ich Brot in den Mund, kaue immer auf einer harten Rinde herum, trinke picksüße Limonaden und kämpfe mit meinem Übergewicht, das seit der Schwangerschaft nicht runter will, am meisten aber mit den geheuchelt mitfühlenden Blicken der Bekannten („Früher hats eh was gleichgschaut“) und den eitrigen Pickeln, die in meiner T-Zone sprießen, wie bei einem liebestollen Teenager, aber liebestoll ist wohl das letzte Adjektiva, das meinen verwahrlosten Zustand beschreibt. Seit Tagen trag ich dieselbe Kleidung und sehe keinen Anreiz sie zu wechseln, jedes saubere Kleidungsstück ist sowieso gleich wieder voll mit Flecken, muss gewaschen und zum Trocknen aufgehängt werden, und solche Kapazitäten besitze ich nicht – ich kämpfe jede Sekunde ums nackte Überleben. Babywindeln verströmen senfig-süße Düfte, vollgesogene Stillpads liegen rum wie angeschneuzte Taschentücher, immer riecht es nach irgendwas, besonders nach vergorener Milch, selbst wenn ich dusche, stinkt meine Haut noch säuerlich, denn wenn ich etwas kann, dann: Muttermilch. Alles andere hab ich vergessen, bin quasi über Nacht zum Tier degradiert, doch wenn ich in der Mitte des Raumes stehend, mich im Uhrzeigersinn drehend, die Wände vollspritze mit dem niemals versiegenden Strahl, durchlebe ich eine Idee von Ekstase, das Wissen, ich könnte in Zeiten von Hungersnöten eine Fußballmannschaft durch den Winter bringen, und daran gutes Geld verdienen lässt mich lächeln, besonders die Vorstellung, wie die Knaben mit offenen Mündern vor meinem Busen knien, macht mich irgendwie: an. Das ist aber auch das einzige was mir an Freudenmomenten bleibt in einer Wüste der unermesslichen Trostlosigkeit.
„Geh, schau her!“ sagt mir die Nachbarin, „Die Zystrosen blühen. Die Grünfinken sitzen im Olivenhain und zwitschern vom Frühling. Und die Orangenbäume biegen sich unter der süßen Last ihrer Früchte.“ „Geh, leck mich am Arsch.“ Ist das was ich denke. Aber ich schenk ihr ein Lächeln zur Antwort, wenn auch ein müdes, schlepp mich zurück in die Küche und zähle die Fliegen, die sich niedergelassen haben, auf dem Geschirrberg in der Spüle.
„Hola? Hola!“, eine Männerstimme reißt mich aus meinen Gedanken, erinnert mich daran, dass der Grund meiner unglückseligen Lage schon länger kein Lebenszeichen von sich gegeben hatte und ich springe auf, stoß mir den Zeh an der Leiste und stürze, stöhnend vor Schmerzen und Kosenamen brüllend, durchs Haus, auf der Suche nach dem Kind. Schließlich finde ich es, auf der Terrasse, in die Betrachtung einer leuchtenden Orange vertieft. „Wollen Sie einen Sack?“ In meiner Einfahrt steht ein Lieferwagen, auf dessen Ladefläche sich Orangensäcke stapeln. Der Verkäufer, ein junger Mann, zeigt auf die Frucht, in den Händen meines Kindes: „Sehr süß!“ Es dauert, bis ich nach dem vorausgegangenen Schrecken nicht mehr um Luft ringen muss, mein Pulsschlag sich beruhigt, doch während mein Blick zwischen dem jungen Mann und dem Kind hin und her gleitet, breitet sich langsam ein warmes Gefühl der Erleichterung aus, und dankbar darüber, dass der Kleine in den unbeaufsichtigten Minuten weder auf die Straße gekrabbelt, an einem Kieselstein erstickt noch kopfüber in einen Wasserkübel gefallen ist, strahle ich den Orangenverkäufer an und sage, „Ja, nur her damit.“
Der Verkäufer geht zum Lieferwagen, zerrt einen Sack von der Ladefläche und weil das Kind noch immer mit seiner Orange spielt, habe ich Zeit seine schlanke Gestalt zu betrachten. Ein hübscher Kerl, denke ich mir, lange Glieder, kräftiges Haar, wenn auch noch sehr jung, kaum den Kinderschuhen entwachsen, hat noch keine Ahnung davon, was ihn im Leben erwartet. Er legt den Sack Orangen auf der obersten Treppenstufe ab, ich reich ihm einen Zehner und seh ihm nach, wie er seinen Lieferwagen wendet und fährt, in einer Wolke aus Diesel und rotem Staub, dann reiß ich meinen Mund auf, als würde ich ertrinken, inhaliere gierig ungefilterte Abgaspartikelchen, bevor der Wind sie vertreibt, sie verschwinden, denn es ist das Einzige, was mir von ihm bleibt.
(II)
Eine Woche später sitze ich auf der Terrasse und stille das Kind. Der Rock ist verrutscht und morgendliche Sonnenstrahlen fallen auf meine entblößten Schenkel, beleuchten Dellen, Dehnungsstreifen und Muttermale auf milchigweißer Haut, als der Lieferwagen um die Ecke biegt und mit quietschenden Bremsen in meiner Einfahrt hält. Ich hebe den Kopf, streiche die frisch gewaschenen Haare aus dem Gesicht, während der Junge die Fahrertür öffnet und gelenkig aus seiner Kabine klettert. Das Kind hat fertig getrunken, öffnet die Lippen und meine leckende Brustwarze rutscht aus seinem Mund hinaus, und ich setze es auf den Boden, richte mich auf, und sage, ohne das Stück Brust unter meiner Bluse zu verstecken: „Die Orangen haben unglaublich geschmeckt.“ Der Junge hat meinen nackten Busen entdeckt, versucht wegzusehen, schafft es nicht und lächelt gequält. „Wollen Sie mehr?“ „Natürlich“, flüstere ich. Er zerrt einen Sack von der Ladefläche und legt ihn mir zu Füßen und mit fahrigen Händen zerreiße ich das Netz, sehe den Zitrusfrüchten zu, wie sie über die Stufen kullern, sich auf meiner Terrasse ergießen, greife gierig nach einer Frucht, umfasse ihr ledriges Rund und reiß sie in der Mitte entzwei, versenke die Zähne im süßen Fleisch. „Köstlich“, stöhne ich, während mir der klebrige Saft aus dem Mund läuft, „Deine Orangen machen süchtig!“
(III)
Das Kind schläft in seinem Bettchen und ich stehe in der Küche und presse die letzten, hart gewordenen Orangen zu Saft, als ich das Tuckern des Motors in der Einfahrt vernehme. „Komm rein“, ruf ich ihm entgegen und dann höre ich ihn eintreten, zögernd, mit unsicheren Schritten. Ich deute ihm, den Sack Orangen auf den Esstisch zu legen, verschlinge mit meinen Blicken seine lange, jugendliche Gestalt, die sich nur schwankend auf den Beinen hält, ein frischer Trieb im schnellwüchsigen Eukalyptuswald, bevor ich „Gracias“, flüstere und ihn, ohne ein weiteres Wort der Warnung, an mich ziehe. Er keucht vor Überraschung und dann taumeln wir durch die Küche, zwei ineinanderverknäuelte Körper, ohne Anfang und Ende, stoßen an Stühle und reißen die Gardinen von den Stangen bis wir strauchelnd auf dem Esstisch landen, Orangen unter dem Gewicht unserer Körper schmatzend, Säfte verspritzend, zerplatzen, und ihr süßer Duft vermischt sich mit dem herben Geruch seiner Achseln, während er mit jedem Stoß tiefer dringt, fast schon von selbst verschwindet, bis sich nur noch sein Kopf unter dem sanften Druck meiner Hände in mich schiebt – ein verblüffter Ausdruck der Entzückung liegt in seinem Gesicht, als er dorthin geht, wo er einmal hergekommen ist.